Ein Kunstkabinett-Krimi

Winterzeit ist Lesezeit! Wer einen guten Lesestoff sucht, in dem auch Kunst behandelt wird, dürfte hier fundig werden: Heute möchte ich euch einen ganz besonderen Roman vorstellen, der erstaunlicherweise immer noch ein Geheimtipp geblieben ist:
Ein Kunstkabinett
vom französischen Schriftsteller Georges Perec

Euer Lesestoff für die langen Winterabende …
Ein Kunstkabinett” ist ein Roman – oder vielmehr eine romaneske Erzählung – über Täuschung und Fälschung, über Illusion und Wirklichkeit, über Ehrgeiz und Gier, kurzum: über das Theater um den Fetisch namens »Kunst«.[read more]Erzählt wird eine lustige und groteske Geschichte über eine Ausstellung, eine Auktion, eine Kunstschändung und über ein Testament eines skurrilen Kunstsammlers. Die Hauptrolle spielt das titelgebende Gemälde vom Künstler Heinrich Kürz.  Das Werk zeigt ein Kunstkabinett, das – als Bild im Bild – solange wiederholt wird, bis das Motiv am Schluss kaum noch sichtbar vorkommt. Die Wiederholungen unterliegen jedoch kleinen rätselhaften Veränderungen: „auf einem Longhi ist plötzlich, von einer Verkleinerung zur nächsten, die zuvor leere Piazza von Masken bevölkert; aus einer marokkanischen Landschaft verschwinden nacheinander Esel, verschleierte Frau, dann Dromedar; der angeschlagene Boxer erhält im nächsten Bild einen Uppercut, im letzten liegt er k.o. am Boden.“ Das kleine Buch liest sich wie ein surrealistischer Detektivroman, in dem sich das Falsche mit dem Wahren vermischt – Buchtitel sind in Wahrheit Gemälde, Schriftsteller werden zu Maler, historische Persönlichkeiten mischen sich in die fiktiven Ereignisse … und sogar das Original ist bloß eine geniale Fälschung.[/read]

Von diesem in vieler Hinsicht einzigartigen Autor wird hier noch die Rede sein – er hat weitere bedeutende, amüsante und wundersame Bücher geschrieben, die zahlreiche Vertreter der sog. Konzeptkunst beeinflusst haben. Hier ein paar Eckdaten.
Georges Perec, 1936 geboren, wurde – nachdem sein Vater im 2. Weltkrieg gefallen war und seine Mutter nach Auschwitz deportiert wurde – von seinem Onkel und seiner Tante adoptiert. Trotz dieser traumatischen Erlebnisse stellt seine künstlerische Arbeit eine einzigartige und bunte Spielwiese für vielfältige, lustige, humor- und witzvolle Sprachexperimente dar. Nichts scheint ihn dabei abschrecken zu können. So schrieb er einen Roman, in dem nur Wörter ohne Buchstabe “e” vorkommen, um nur ein Beispiel zu nennen. Das Bemerkenswerte daran: Alle seine Werke funktionieren trotz seiner z. T. wilden Sprachartistik einwandfrei! Der Künstler prallt nicht mit seiner überlegenen Artistik, das unbändige Spiel mit literarischen Formen und sprachlichen Möglichkeiten ist nicht zur Schau gestellt! Das war diesem Künstler zu banal, zu “prosaisch” gewesen … Umso mehr freut sich der Leser, wenn er auf einmal merkt, dass der Textaufbau einem hochkomplexen Muster folgt, das dem Werk eine völlig neue Dimension verleiht. Es hängt also ganz vom Leser ab, auf welcher der vielen Leseebenen er die Werke “wahrnehmen” möchte. Aber keine Angst – die Bücher dieses Autors sind auch auf der Ebene der “Mainstreamliteratur” sehr unterhaltsam, stets originell und auf eine subversiv subtile Weise gesellschafts- und kulturkritisch. Georges Perec starb 1982 in Ivry-sur-Seine.

In Frankreich ist Perec eine Literaturikone, man hat ihn auf einer Briefmarke verewigt …

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Alte Meister – eine Komödie


Wie versprochen stelle ich euch nun den Roman  »Alte Meister«  von Thomas Bernhard vor.

Antiquarisch ist das Buch für 2-3 Euro zu haben (z. B. bei Booklooker.de)
Bevor ich aber über dieses bewundernswerte Werk berichte, muss ich – für diejenigen von euch, die den Autor nicht kennen – eine Warnung aussprechen:
Wir haben hier mit einem Sprachkünstler zu tun, der (scheinbar) über die Welt und die Menschen stets nur zu schimpfen, lästern und spotten weiß. (Dies allerdings auf einem atemberaubenden, hochartistischen Niveau!)

Thomas Bernhard ist ein Künstler, wie es im Buche steht – provokant, skandalös, kontrovers, unberechenbar, exzentrisch, unangepasst … Doch halt! »Unangepasst«? Nicht wirklich. Denn seine akrobatische, halsbrecherische, in vieler Hinsicht einzigartige Erzählkunst spannt sich doch wie ein Schutzschild über seine böse Schimpftiraden (vornehmend über Wien und Österreich) und macht ihn für die Beschimpften ertragbar. Hier begegnet uns ein alter Künstlerphänomen wieder: Hohe Virtuosität eines künstlerischen Egozentrikers und Störenfriedes entschuldigt (beinahe) alles, sodass er in der Gesellschaft, die er auf Schärfste kritisiert und ablehnt, doch ganz gut sozialisiert ist. Wir lauschen seinem barocken, schmissigen Nihilismus gebannt, wie Dorfkinder im Zirkus, die noch nie einen Messerwerfer, einen Feuerschlucker, einen Clown und nie einen auf Hinterbeinen laufenden Elefanten (Thomas Bernhard ist all das in einer wahrlich fabelhaften, schimärischen Personalunion) gesehen haben. Seine Bücher haben keine Absätze, der Lesestoff ist eine Lawine aus mäanderartig ineinander verwebter Monologe. Der Text, der wie eine unheilbare, hochneurotische Sprachstörung unsere innere Lesestimme unverschämt verfremdet, ist geradezu bravourös komponiert.
Aber wie hält man so etwas aus? Müsste der Schriftsteller nicht doch ganz verrückt sein? Nun, das darf jeder für sich entscheiden. Wahnsinn und Kunst ist zwar ein alter Mythos, der nicht ganz jeglicher Wahrheit bar ist – die Kunstgeschichte ist bekanntlich voll verruckter, spiel-, alkohol- und drogensüchtiger, paranoider, neurotischer, traumatisierter und anderswie geistig »gestörter« Künstler. Aber der Künstler ist stets genauso gesund oder krank, wie die Gesellschaft, in der er lebt. Denn Fakt ist, dass Bernhard nur ein von Millionen von kriegstraumatisierten Kindern war. Sein Traumata jedoch hat aus ihm eine literarische Größe der europäischen Nachkriegszeit gemacht, die bis heute ihresgleichen sucht.

Nun zum Lesestoff.  Der Roman »Alte Meister« trägt im Untertitel berechtigerweise die Bezeichnung »Komödie«. Wir haben also mit einer romanesken Satire zu tun – aber mit was für einer!
Der Inhalt.  Im Bordone-Saal des Wiener Kunsthistorischen Museums nimmt der alte Musikphilosoph Reger, ein ausgeprägter »Menschenhasser«, jeden zweiten Tag auf der Sitzbank vor dem Bild Weißbärtiger Mann von Jacopo Tintoretto seinen Platz und grübelt über die Misslichkeiten der Welt, der Kunst und des Lebens. Praktisch alles, was er betrachtet, ekelt ihn an. Auch seine Kunstbetrachtungen haben ihn zu dem Schluss geführt, dass alle Alten Meister ausnahmsweise unvollkommene Werke hinterlassen haben. Man muss sie nur lange genug betrachten und lange genug studieren, um die Fehler zu entdecken.  Regers Monologe behandeln außerdem Philosophen, Schriftsteller, Musiker, Kunstwerke, Museen und ihre Mitarbeiter sowie alle anderen Feinde der Kultur und der Zivilisation. Sogar öffentliche Toiletten lässt er nicht aus. Seine vernichtenden Analysen breiten sich über 300 Seiten majestätisch und köstlich urkomisch aus … Am Schluss bedauert man, das Buch schon ausgelesen zu haben …
Der Text regt aber auch zum Nachdenken und zur Reflexion an. Ist es nicht absurd, was wir »Kulturmenschen« tagein tagaus machen? Museen, Galerien, Theater, Konzertsäle, Kunstwerke, Künstler und Kunstliebhaber – wozu brauchen erwachsene Menschen »Meister«, »Erklärer« und »Deuter«? Um ihre »mangelhafte« Menschlichkeit zu entdecken? … Rabenschwarze Satire, luzider Sprachwitz, bitterböser Spott und eine virtuose Sprachmusik, kurzum: Lesegenuss pur!
Und die Nebenwirkungen?  Nach der Lektüre dieses wundersamen Werks kann man das Kunsthistorische Museum in Wien nicht mehr betreten, ohne nach altem Reger und seiner Sitzbank, seinem Lakaien, dem Museumswärter Irrsigler und seinem Zuhörer Atzbacher Ausschau zu halten. Wobei man allerdings ein Bordone-Saal vergeblich suchen wird – den gab es nie. Der Weißbärtigen Mann von Tintoretto hängt im Bassano-Saal.
Am Schluss ein Tipp vom Autor höchstpersönlich – für diejenigen von euch, die durch meinen Bericht mehr abgeschreckt als zum Lesen motiviert sind:

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»Ich bin mehr Umblätter als Leser, müssen Sie wissen, und ich liebe das Umblättern genauso wie das Lesen, ich habe in meinem Leben millionenmal mehr umgeblättert als gelesen, aber am Umblättern immer wenigstens so viel Freude und tatsächliche Geisteslust gehabt wie am Lesen.«

Jacopo Tintoretto, Porträt eines weißbärtigen Mannes, 1545

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