Alte Meister – eine Komödie


Wie versprochen stelle ich euch nun den Roman  »Alte Meister«  von Thomas Bernhard vor.

Antiquarisch ist das Buch für 2-3 Euro zu haben (z. B. bei Booklooker.de)
Bevor ich aber über dieses bewundernswerte Werk berichte, muss ich – für diejenigen von euch, die den Autor nicht kennen – eine Warnung aussprechen:
Wir haben hier mit einem Sprachkünstler zu tun, der (scheinbar) über die Welt und die Menschen stets nur zu schimpfen, lästern und spotten weiß. (Dies allerdings auf einem atemberaubenden, hochartistischen Niveau!)

Thomas Bernhard ist ein Künstler, wie es im Buche steht – provokant, skandalös, kontrovers, unberechenbar, exzentrisch, unangepasst … Doch halt! »Unangepasst«? Nicht wirklich. Denn seine akrobatische, halsbrecherische, in vieler Hinsicht einzigartige Erzählkunst spannt sich doch wie ein Schutzschild über seine böse Schimpftiraden (vornehmend über Wien und Österreich) und macht ihn für die Beschimpften ertragbar. Hier begegnet uns ein alter Künstlerphänomen wieder: Hohe Virtuosität eines künstlerischen Egozentrikers und Störenfriedes entschuldigt (beinahe) alles, sodass er in der Gesellschaft, die er auf Schärfste kritisiert und ablehnt, doch ganz gut sozialisiert ist. Wir lauschen seinem barocken, schmissigen Nihilismus gebannt, wie Dorfkinder im Zirkus, die noch nie einen Messerwerfer, einen Feuerschlucker, einen Clown und nie einen auf Hinterbeinen laufenden Elefanten (Thomas Bernhard ist all das in einer wahrlich fabelhaften, schimärischen Personalunion) gesehen haben. Seine Bücher haben keine Absätze, der Lesestoff ist eine Lawine aus mäanderartig ineinander verwebter Monologe. Der Text, der wie eine unheilbare, hochneurotische Sprachstörung unsere innere Lesestimme unverschämt verfremdet, ist geradezu bravourös komponiert.
Aber wie hält man so etwas aus? Müsste der Schriftsteller nicht doch ganz verrückt sein? Nun, das darf jeder für sich entscheiden. Wahnsinn und Kunst ist zwar ein alter Mythos, der nicht ganz jeglicher Wahrheit bar ist – die Kunstgeschichte ist bekanntlich voll verruckter, spiel-, alkohol- und drogensüchtiger, paranoider, neurotischer, traumatisierter und anderswie geistig »gestörter« Künstler. Aber der Künstler ist stets genauso gesund oder krank, wie die Gesellschaft, in der er lebt. Denn Fakt ist, dass Bernhard nur ein von Millionen von kriegstraumatisierten Kindern war. Sein Traumata jedoch hat aus ihm eine literarische Größe der europäischen Nachkriegszeit gemacht, die bis heute ihresgleichen sucht.

Nun zum Lesestoff.  Der Roman »Alte Meister« trägt im Untertitel berechtigerweise die Bezeichnung »Komödie«. Wir haben also mit einer romanesken Satire zu tun – aber mit was für einer!
Der Inhalt.  Im Bordone-Saal des Wiener Kunsthistorischen Museums nimmt der alte Musikphilosoph Reger, ein ausgeprägter »Menschenhasser«, jeden zweiten Tag auf der Sitzbank vor dem Bild Weißbärtiger Mann von Jacopo Tintoretto seinen Platz und grübelt über die Misslichkeiten der Welt, der Kunst und des Lebens. Praktisch alles, was er betrachtet, ekelt ihn an. Auch seine Kunstbetrachtungen haben ihn zu dem Schluss geführt, dass alle Alten Meister ausnahmsweise unvollkommene Werke hinterlassen haben. Man muss sie nur lange genug betrachten und lange genug studieren, um die Fehler zu entdecken.  Regers Monologe behandeln außerdem Philosophen, Schriftsteller, Musiker, Kunstwerke, Museen und ihre Mitarbeiter sowie alle anderen Feinde der Kultur und der Zivilisation. Sogar öffentliche Toiletten lässt er nicht aus. Seine vernichtenden Analysen breiten sich über 300 Seiten majestätisch und köstlich urkomisch aus … Am Schluss bedauert man, das Buch schon ausgelesen zu haben …
Der Text regt aber auch zum Nachdenken und zur Reflexion an. Ist es nicht absurd, was wir »Kulturmenschen« tagein tagaus machen? Museen, Galerien, Theater, Konzertsäle, Kunstwerke, Künstler und Kunstliebhaber – wozu brauchen erwachsene Menschen »Meister«, »Erklärer« und »Deuter«? Um ihre »mangelhafte« Menschlichkeit zu entdecken? … Rabenschwarze Satire, luzider Sprachwitz, bitterböser Spott und eine virtuose Sprachmusik, kurzum: Lesegenuss pur!
Und die Nebenwirkungen?  Nach der Lektüre dieses wundersamen Werks kann man das Kunsthistorische Museum in Wien nicht mehr betreten, ohne nach altem Reger und seiner Sitzbank, seinem Lakaien, dem Museumswärter Irrsigler und seinem Zuhörer Atzbacher Ausschau zu halten. Wobei man allerdings ein Bordone-Saal vergeblich suchen wird – den gab es nie. Der Weißbärtigen Mann von Tintoretto hängt im Bassano-Saal.
Am Schluss ein Tipp vom Autor höchstpersönlich – für diejenigen von euch, die durch meinen Bericht mehr abgeschreckt als zum Lesen motiviert sind:

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»Ich bin mehr Umblätter als Leser, müssen Sie wissen, und ich liebe das Umblättern genauso wie das Lesen, ich habe in meinem Leben millionenmal mehr umgeblättert als gelesen, aber am Umblättern immer wenigstens so viel Freude und tatsächliche Geisteslust gehabt wie am Lesen.«

Jacopo Tintoretto, Porträt eines weißbärtigen Mannes, 1545

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