In wenigen Tagen endet im Kassel das größte Kunstereignis des Jahres, das opulente Weltspektakel der Kunst, »Das Museum der 100 Tage« genannt documenta. Hier eine kleine Notiz darüber.
documenta ist nach über 60 Jahren erstaunlicherweise immer noch die Ausstellung der zeitgenössischen Kunst. Obwohl sie in letzter Zeit viel Konkurrenz bekommen hat – z. B. Großausstellungen wie die Biennalen von Istanbul und Lyon – gilt sie für die breite Öffentlichkeit als die bedeutendste Kunstschau der Welt. Die Ausstellung ist mit der Zeit zu einer wahrhaftigen Pilgerstätte geworden, wo der moderne Mythos der Kunst alle fünf Jahre in einem – zumindest nach der üppigen Ausstattung und der megalomanischen Dimension der Ausstellung zu beurteilen – epischen Stil weitererzählt wird.
Nun, die Realität holt bekanntlich jeden Mythos irgendwann doch ein. Moderne Kunstspektakel sind längst ein lukratives Geschäft geworden, das den Städtetourismus erfolgreich ankurbelt. Biennale in Venedig, die dieses Jahres parallel zur documenta stattfindet, ist dafür ein Paradebeispiel. Die Kunstschau der Nationen – eine »archaische« Idee, die wie ein Wunder einem seit dem 2. Weltkrieg im Kunstbetrieb waltenden Geist des Internationalismus aufs Krasseste zu widersprechen scheint – fügt sich ins touristische Vergnügen an der Lagune reibungslos ein. Kunst ist ein kostbarer Konsummagnet – und Liebling der Sponsoren aus Industrie und Politik – geworden. Auch wenn die Kuratoren das nicht gern hören wollen. Was man darüber auch denken mag, es steht zumindest fest, dass derartige Mammutausstellungen selbst für einen hartnäckigen Kunststreber eine große Zumutung darstellen.
Einiges ändert sich allerdings doch. Während documenta stets eine richtungsweisende Förderung der politischen, gar »subversiven« Dimension der Kunst für sich beansprucht, feiert die Kuratorin der Hauptausstellung in Venedig, Christine Macel unter dem Motto „Viva Arte Viva!“ die Spielfreude und die Lebendigkeit der Kunst. Es handelt sich um eine bewusste Abgrenzung zu Kassel und nicht zuletzt um eine Art Befreiung von aller »Instrumentalisierung« der Kunst durch staatlich gefordertes politisches Engagement der Künstler, Kunstaktivisten und Kuratoren*. Damit haben in diesem Jahr zwei Konzepte der Kunst gegeneinander angetreten. Die sorglose Heiterkeit und »hedonistisches« Kunstspiel, wie es sich für Venedig gehört, und das Grüblerische, Düstere, von PC (political correctness) übertünchte – und von großen “Feinden” (Konzernen) gesponsorte – Sorge um die Welt in Kassel … Hier wäre es vielleicht angebracht, die gute alte Proportionslehre anzuwenden, denn es kommt auch in der Kunst – möchte man sie zeigen, wie sie ist und nicht wie sie sein sollte – auf die richtige Mischung an. Eine Utopie? … Die Sache ist natürlich nicht so einfach … Brauchen wir doch nicht eine Orientierung; eine Instanz, die uns in Zeiten einer allgemeinen Verwirrung und eines Umbruchs zeigt, was wirklich zählt? Oder ist es wertvoller, die Kunst, als womöglich den allerletzten Zufluchtsort eines tiefen menschlichen Bedürfnisses nach geistiger Entfaltung und Freiheit zu bewahren? Was hat man denn sonst noch, Konsum, Tourismus und Lifestyle? Was soll man nun darüber denken? Hat der sog. Neoliberalismus nun endgültig über den Kunstgeist gesiegt? … Vielleicht ein Thema für unseren Künstlerstammtisch …
Bilder hat freundlicherweise Jutta, die aus Kassel stammt, zur Verfügung gestellt.
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* Meine Wenigkeit hat nur an einer großen internationalen – dafür aber an einer der skurrilsten – Ausstellung der Gegenwart teilgenommen. Die Ausstellung hieß »Subversivmesse« und fand in einer Messehalle in Leipzig statt, wo die Kunstaktivisten aus aller Welt – auf Staatskosten! – ihre subversive Kunst präsentieren dürften. Mein Beitrag bestand aus einer »Performance«, in der ich während der Ausstellungsdauer den Kollegen die Optimierungsvorschläge für ihre gesellschaftskritische, umstürzlerische Arbeiten machte. Es hat ‘ne Menge Spaß gemacht! Mehr darüber kann ich bei Interesse im Kurs oder an unserem Künstlerstammtisch berichten …
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