Ein Ausstellungsbesuch im Städel Museum

Geheimnis der Materie
Ein Bericht von Eva Kaiser



Unter diesem Titel stellte das Frankfurter Städel Museum von Juli bis Oktober Werke von Ernst Ludwig Kirchner, Erich Heckel und Karl Schmidt-Rottluff aus. Ich war neugierig, um was für ein Geheimnis es gehen könnte im Zusammenhang mit diesen Künstlern, „Brücke“- Mitbegründern und längst ausgiebig analysierten Expressionisten. Die Ausstellung war den Arbeiten mit und aus Holz gewidmet, knapp 100 Holzschnitte waren zu sehen, einige Druckstöcke und 12 Holzskulpturen.
Auf ihrer Suche nach Wegen, die Kunst von den Zwängen des akademischen Diktats zu befreien, eigene Ausdrucksformen zu finden, begannen alle Drei in den ersten Jahren des 20. Jahrhunderts, sich die Technik des Holzschnitts zu erarbeiten. Die ausgestellten Werke zeigten, wie sie sich mit Holz als Material der Darstellung auseinandergesetzt haben. An Kirchners „Weiblichem Akt“ (1908) ist zu sehen, wie die Beschaffenheit des Materials mit seinen Rissen und Unregelmäßigkeiten Teil der Darstellung wird. Sein „Spazierengehendes Paar“ (1907) in vier Farben ist von zwei Blöcken in zwei Farben gedruckt und läßt erkennen, wie Kirchner sich die Möglichkeiten von Holzschnitt und Druck erschließt. Die „Jungen Männer, die Schilfrohr werfen“ (1909, Bathers throwing reeds) wurden von drei Stöcken gedruckt.
In Schmidt-Rottluffs „Mädchen vor dem Spiegel“ (1914) wird die Holzmaserung zur Gestaltung der Fläche genutzt. Im „Weg mit Bäumen“ (1911) strukturiert den Himmel die Maserung. Es war faszinierend zu sehen, wie Schmidt-Rottluff im gleichen Jahr mit dem sperrigen Material dem „Porträt“ des Dichters Simon Guttmann Ausdruck und Persönlichkeit gibt. Dem „Liebespaar“ (1909) gestaltet er den Raum, das Bett und das Laken durch die Kombination verschiedener Schnittarten. Die Personen sind sehr reduziert, scheinen seltsam fremd.
Kirchners „Liegender Rückenakt“ (1905) wirkt wie eine spontane Skizze. Diese Art der Darstellung, eine natürliche Körperhaltung und das Zeichnen nach dem lebenden Modell, gehörten zum Programm der „Brücke“-Künstler.
In „Tattersall“ (1909) gibt die Maserung der Bluse ein strenges Muster, den Flächen in orange klar entgegengesetzt. (Ein Tattersall ist eine Reitbahn.)
Für das „Porträt Otto Müller“ (1915) verwendete Kirchner zwei Druckstöcke, teilweise mit schwarzblau übermalt.
Heckel experimentiert mit den Gestaltungsmöglichkeiten, die das Material vorgibt, aber noch mehr mit der Wirkung der Farbe, verdeutlicht durch „Fränzi liegend“ (1910), das in 2 Farbgebungen gezeigt wurde. Heckels Plastik „Stehende mit aufgestütztem Kinn“ (1912), eine der 12 ausgestellten Skulpturen, zeigt, wie auch in der bildhauerischen Arbeit das Holz durch Wuchs und Form die endgültige Gestalt bestimmt. Die Kriegserfahrungen von allen drei Künstlern kamen nur in wenigen der ausgestellten Werke zum Ausdruck.


Schmidt-Rottluff war 1915-1918 in Litauen und Russland stationiert. Der „Christus, 1918“ ist eine ausdrucksstarke Anklage. Seine Skulptur „Arbeiter mit Ballonmütze“ (1920) zeigt einen Kriegsinvaliden, der beidseitig
beinamputiert ist und nur einen Arm hat. Durch den seltsamen Kontrast zwischen dem beschädigten Körper und dem wunderbar gerundeten, glatten und polierten Holz war sie für mich sehr verstörend.
Heckel, der 1915 in Ostende als Sanitätssoldat stationiert war, gestaltet einen „Verwundeten Matrosen“ fast wie ein Flugblatt. Für die Maler der „Brücke“ waren Holzschnitte kein Mittel der Vervielfältigung. Sie nutzten diese Technik, um mit Formgebung, Farbbehandlung und Farbwirkung zu experimentieren. Leider wurden viele der Druckstöcke im Krieg vernichtet. Auch von den Drucken, die immer nur in wenigen Exemplaren ausgeführt wurden, existieren nicht mehr viele. Die 98 Blätter, die das Städel ausgestellt hat, konnten dennoch die Intensität vermitteln, mit der Kirchner, Heckel und Schmidt-Rottluff ihr Ziel verfolgt haben, die Kunst zu erneuern, „frei von den wohleingesessenen älteren Kräften“, wie es 1906 im Programm der „Brücke“ heißt.

 

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